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  • Autorenbildcarolin rebmann

Was glaubst du denn? Über Spiritualität im Alltag und im Coaching





Was kannst Du noch glauben, was möchtest Du glauben? Oder glaubst Du gar nicht?


In einer Zeit, in der die Kirchengemeinden zusehen müssen, wie die Zahl ihrer Mitglieder stetig schrumpft, drängt sich die Frage auf, woran die Menschen heutzutage noch glauben oder ob sie es überhaupt noch tun. Andererseits finden wir ein immenses Angebot von Yogis, Heilpraktikern, Schamanen, Kinesiologen, Meditations- oder Reiki-Experten, die allesamt einer hohen Nachfrage nachkommen und eine gewisse spirituelle Haltung voraussetzen. Hat sich der Glaube also nur verändert? Und warum könnte das für den modernen Menschen noch eine Rolle spielen, ob wir glauben oder nicht?


Richtig, der moderne Mensch ist auf den Glauben als Erklärungskonzept nicht mehr angewiesen. Wir können heute physikalisch belegen, wie Blitz und Donner entstehen und astronomisch nachvollziehen, wie sich Sonne, Mond und Erde zueinander verhalten. Wir können mit Hilfe der Biologie und Chemie fundiert aufbereiten, wie Leben entsteht und wächst, was es begünstigt oder bedroht.


Die Wissenschaft scheint ein Gegengewicht zum Glauben darzustellen. Denn der Glaube bezieht sich auf die eigene Vorstellung, auf ein Konstrukt, das weder beweisbar, noch messbar ist. Die Wissenschaft arbeitet evidenzbasiert und strebt nach Objektivität. Der religiöse Glaube gibt zwar eine scheinbare Wahrheit vor, z.B. die Existenz Gottes, setzt dafür aber einen Willen zu glauben voraus. Glauben ist eben nicht wissen – und darin liegt ja auch das große Potenzial, aber dazu später mehr.


Stehen denn Glaube und Wissenschaft immer in Konkurrenz zueinander oder kann das eine nicht das andere ergänzen? Jeder von uns wird ein- oder mehrmals im Leben an den Punkt kommen, an dem die Wissenschaft, die nackten Fakten als allumfassendes Erklärungsmodell ausgedient haben.


Hast Du schon einmal an jemanden gedacht und kurz darauf meldet sich diese Person bei Dir? Oder hattest Du schon eine „wunderbare“ Begegnung mit einem Menschen, die du als schicksalhaft bezeichnen würdest? Positiven Ereignissen wie die Geburt eines Kindes, ein Sonnenauf- oder untergang oder die Nähe zu einem Menschen, obwohl wir ihn nicht besonders gut kennen, wohnt ein bestimmter Zauber inne. Ein Zauber, der uns scheint, nicht immer von dieser Welt zu sein. Oder aber es trifft uns etwas, was uns aus dem Alltag schmerzhaft reißt. Der Tod eines nahestehenden Menschen oder eine schwere Krankheit, die uns heimsucht. Dann können wir biologische Aspekte zugrunde legen und uns an medizinischen Fakten orientieren, aber viele von uns können sich trotzdem nicht der Frage entziehen, was es mit der Krankheit auf sich hat. Warum ich? Warum diese Krankheit? Warum jetzt? Welchen Erklärungen bedienen wir uns dann, welche Perspektiven schaffen wir uns? Es scheint, dass der Mensch in Ausnahmesituationen, früher und heute, dazu tendiert, im Glauben Antworten finden zu wollen. Und nicht nur Antworten, sondern auch Hoffnung, Zuversicht und Kraft. Und damit kann der Glaube vor allem für den Genesungsprozess eine wesentliche Rolle spielen. Denn er versetzt ja schließlich Berge.


Aber es sind längst nicht nur Extremsituationen, die uns in Glaubensfragen stürzen. Wir alle streben nach Sinnhaftigkeit, suchen Zugehörigkeit und Orientierung. Auch in einem gewöhnlichen Alltag fragen wir uns, was für uns Sinn macht, was ein glückliches Leben ausmacht, an welchen Maßstäben wir das eigene und fremde Handeln messen. Welche Werte dienen uns, um Entscheidungen zu treffen? Was berührt unsere Seele (haben wir überhaupt eine?) und was gibt uns noch Kraft, wenn wir gefühlt schon am Ende sind? All diese Fragen sind kaum zu beantworten, wenn wir den Glauben ausklammern.


Auch mit Blick auf unsere Eingangsbeispiele ist es an dieser Stelle sinnvoll, sich der Definition von Glauben und Spiritualität zu widmen. In diesem Text wird der Glaube als eine bestimmte religiöse Ausrichtung verstanden, die eine Glaubensgemeinschaft und damit verbundene Lehren beinhaltet, z.B. das Christentum. Spiritualität hingegen beschreibt eher eine Weltanschauung, einen Zustand oder den Wunsch, durch bestimmte Praktiken und wiederholtes Üben zu anderen, nicht irdischen und materiellen Ebenen, zu gelangen. Und tatsächlich scheint es so, als würden sich immer mehr Menschen spirituellen Energien öffnen. Bei Beerdigungen sprechen heute häufig Trauerredner, die konfessionell nicht gebunden, aber der Vorstellung vom Himmel oder eines Lebens „danach“ nicht unbedingt abgewandt sind. Immer mehr Trauungen werden nicht unter dem Kirchendach, aber unter freiem Himmel mit freiem Redner vollzogen – ein symbolischer Akt, aber ganz ohne Segen geht es dann doch nicht.


Im Coaching spielt das, was wir glauben, egal ob religiös oder spirituell bedingt, eine Rolle, weil es unseren Alltag mitbestimmt und uns als Personen ausmacht und leitet. Sehe ich die schwere Krankheit als Prüfung oder Strafe? Von wem, warum? Ist das Leben ein Geschenk? Muss ich mir Dinge erst verdienen? Wie selbstbestimmt handelt der Mensch? Ist es Schicksal oder Zufall?


Unterschiedliche spirituelle, religiöse oder auch atheistische Ausrichtungen führen zu unterschiedlichen Antworten und Handlungsempfehlungen. Wird der Christ in Krisenzeiten um Gottes Beistand beten, kann der Buddhist durch Meditation das Loslösen irdischer Zwänge auf der Suche nach Wahr- und Freiheit anstreben. Während der Atheist die Situation als solche bewertet und sie nicht in ein höheres „Ganzes“ einordnet, sich demnach auch an nichts wenden kann oder muss. Das eine schließt das andere nicht aus. Gerade heute, jenseits von dominanten Doktrinen, entstehen ganz individuelle Haltungen und persönliche Glaubensrichtungen. Jeder denkt und glaubt nach seiner Auffassung und gewinnt dadurch.

Wie schon erwähnt, finden viele Menschen in einer spirituellen oder religiösen Quelle Kraft. Sie kann unser Denken und Fühlen beeinflussen, uns Optimismus, Hoffnung und Zuversicht schenken. Und sie schenkt Möglichkeiten. Diese können ganz konkrete, hilfreiche Leitlinien (z.B. Gebote) oder Methoden darstellen, wie Atem- und Meditationstechniken oder andere spirituelle Rituale, die das Wohlbefinden steigern. Oder es wird uns die Möglichkeit gegeben, über uns hinauszuwachsen, weil wir uns verbunden fühlen, Vertrauen schöpfen, Gelassenheit, Halt und Trost bis hin zu innerem Frieden finden.


So wie sich spirituelle und religiöse Ausrichtungen nicht immer strikt voneinander trennen lassen, sollten wir auch nicht glauben, dass unsere geistige Haltung statisch ist. Glaube kann sich ändern. Manch ein zuvor vom Glauben abgewandter Christ findet mit dem nahenden Tod zu Jesus Christus zurück, aber auch im Alltag verändern wir uns stetig und mit uns auch der Zugang zu Glauben und Spiritualität.


Das ist eine gute Chance – auch im Rahmen des Coachings – neue Perspektiven zu eröffnen, denn darum geht es ja bei der Beratung. Durch Gespräche über nahe und ferne Lehren, Traditionen und Lebensweisheiten können wir alte Überzeugungen stärken oder neue innere Schätze entdecken, die uns und unser Leben in eine neue Richtung lenken. In eine bessere Richtung, weil wir davor offene, teilweise quälende Fragen hatten oder eine Unzufriedenheit oder einen Mangel empfunden haben. Dem Glauben sind dabei keine Grenzen gesetzt. Nur die eigenen. Es heißt nicht umsonst Vorstellungskraft – hier werden Energien freigesetzt. Am Ende geht es nicht darum, einen Glauben zu finden oder zu erneuern, allein die Auseinandersetzung mit existenziellen und spirituellen Fragen bringt uns weiter. Es lohnt sich also immer, sich nicht nur zu fragen, welche Ziele man hat und wo man im Leben gerade steht, sondern auch, welches Fundament einen trägt.




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